Der Himmel zieht sich zu, der Wind wird stärker – und ein Schauer nach dem anderen zieht über die weiten Auen von Castilla-La Mancha. Genau der richtige Zeitpunkt, um sich ins Magazin zurückzuziehen und den Studierenden der Fieldschool die Epigraphik näherzubringen. Wird sie von manchen Archäologen und Althistorikern zu einer Hilfswissenschaft degradiert, so beweisen die in Segóbriga zu Tage geförderten Inschriften das genaue Gegenteil: Die Epigraphik mag eine Wissenschaft für sich sein, doch für ein Classics-Studium ist sie von unschätzbarem Wert! Die Teilnehmer der Fieldschool bekommen von Rosario Cebrián Fernández eine kurze Einführung. Die wichtigsten Steine, d.h. die lateinischen Inschriften, die maßgeblich Licht in das Dunkel der Geschichte der antiken Stadt gebracht haben, zeigt sie den Studierenden.
Und macht auf besondere Qualitätsmerkmale einzelner Werkstätten aufmerksam. Auch ein Laie kann auf den ersten Blick einen sehr guten von einem eher schlechten Steinbildhauer unterscheiden. Krumme Buchstaben mit stümperhafter Linienführung sprechen nicht gerade für eine Werkstatt, deuten möglicherweise auf vergleichsweise arme Auftraggeber. Wohingegen sehr gut gearbeitete Inschriftentexte, das heißt feine und akkurate Linienführungen, wohl auf das genaue Gegenteil schließen lassen: Qualitätsware, für die ein Auftraggeber einen entsprechend hohen Lohn abdrücken musste. Die Studierenden tun sich in Zweier- und Dreiergruppen zusammen und erhalten von Charo einen Papierbogen mit einem Fragenkatalog, der von den Archäologen vor Ort zur Aufnahme und Inventarisierung der Inschriften benutzt wird. Einmal gewissenhaft ausgefüllt, lässt er idealerweise keine Fragen mehr offen.
Es sei denn, dass lediglich Fragmente eines Inschriftentextes erhalten sind, die nicht formelhaft ergänzt werden können und deren Lesung zweifelhaft ist. Wie groß ist der Stein? Ist er ein- oder mehrseitig bearbeitet? Mit oder ohne Reliefdarstellung? Wie groß sind die Buchstaben? Wie lautet der Text? Aus welchem Material ist er? Fragen über Fragen… Mit Maßbändern und Taschenlampen zum Messen der Steine und Ausleuchten der Buchstaben geht’s an die Arbeit. Die Feldschüler stehen vor ihren eigens auserwählten Inschriften, knien davor, klettern dahinter, messen und leuchten was das Zeug hält, rätseln über die ein oder andere eher kryptische Abkürzung, lateinische Namen und Wörter. Hier und da eilen Sabine Panzram und Markus Trunk ihren Schützlingen zur Hilfe. Gegen 18 Uhr kehrt die „Chef-Archäologin vom Dienst“ wieder zurück und sammelt die besagten Bögen wieder ein. Meist nickt sie zustimmend und lächelt. Damit ist die Arbeit der Studierenden erfolgreich beendet. Sie dürfen endlich das kühle Inschriftenmagazin verlassen – und zur Belohnung die Abendsonne und den einzigartig herrlichen Ausblick genießen.
Text und Bilder: Jasmin Rashid